Kaiser Karl Gebetsliga

       für den Völkerfrieden

Predigt zur Einsetzung einer Reliquie des Seligen Karl aus dem Hause Österreich in der Stiftskirche Stams am 20. Oktober 2007

Lesung: Sir 3, 17-31

Evangelium: Mt 11, 25-30

 

„Kommt alle zu mir, die ihr Euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt...“ Wie gut tut es, einen solchen Satz zu hören. Alleine, dass da jemand merkt, wie wir uns oft plagen und von Last gedrückt sind, ist schon eine erleichternde Wohltat. Dass wir dann noch eingeladen sind, zu einer persönlichen Begegnung, macht alles noch leichter. Und dann das Versprechen: „Ihr werdet Ruhe finden für Eure Seele“. Ruhe in unserem Wesen, Ruhe in unserem Innersten, Ruhe und Geborgenheit in dem was uns eigentlich ausmacht – alleine der Gedanke daran wirkt entspannend. Das wäre doch perfekte Wellness.

Ist Christentum denn ein Wellnessprogramm? Geht es uns etwa deswegen gut, weil wir Christen sind? Haben nicht gerade gläubige Menschen oft mehr zu leiden als andere? Erscheint uns die religiöse Praxis nicht eher als ein hartes Fitness-Training für einen schwierigen Lebenskampf, während die verwöhnende und entspannende Wellness erst jenseits der Grenzen dieses Lebens zu erwarten ist. Ist die Einladung, zum Herrn zu kommen, nicht eine ferne Vertröstung?

 

Welche Art von Ruhe ist uns denn in diesem Wort Jesu verheißen? Schauen wir auf die Quelle der versprochenen Ruhe, um sie zu erahnen. Jesus Christus selber ist diese Quelle. Aus Gott selbst, der Mensch geworden ist, strömt uns die Ruhe für unsere Seelen zu.

„Denn ich bin gütig und von Herzen demütig“. Ja, den gütigen Gott suchen und erhoffen wir: Ihn, der uns nicht auf unsere Fehler festnagelt und unerbittlich Perfektion verlangt. Ihn, der uns über unsere Fehler hinweghebt und unserem Leben neue Chance und Freiheit schenkt. Beruhigende, befreiende und ermutigende Güte, die ist wahrhaft göttlich.

 

Aber was soll ein „von Herzen demütiger“ Gott? Wollen wir denn wirklich einen Gott, der sich selbst gering macht und abwertet? Verunsichert und beunruhigt uns nicht ein schwacher Gott viel eher? Wünschen wir uns nicht viel mehr einen starker Helfer in der Not?

Gottes Sohn „von Herzen demütig“ – das kann schon verwirren. Gern stimmen wir Jesus Sirach zu, wenn er rät: „...bleibe bescheiden, und du wirst mehr geliebt werden als einer der Gaben verteilt“. Echte Bescheidenheit strahlt Güte aus und nimmt den Anderen an, erhebt das Gegenüber. Aber Demut klingt doch schon als Begriff veraltet, weist auf Selbstverleugnung und Abwertung, statt auf Selbstverwirklichung und Wertschätzung. Wer heute den Demütigen darstellt, steht doch bestenfalls im Verdacht, fishing for compliments zu betreiben, denn das Sich-selbst-gering-Machen kann doch niemand einfach so zulassen...

 

Damit wir keinem Missverständnis über Demut erliegen, schauen wir doch genau hin auf dieses Herz, das die Quelle der zugesagten Güte und Ruhe ist: das Herz Jesu. Es ist das liebende Herz Gottes, der uns menschlich ganz nahe kommt, der sich in leidenschaftlicher Liebe für uns hingibt, der uns in dieser unbedingten Liebe dient. Liebe macht Mut zum Dienen – das ist Demut: Mut zum Dienen.

 

Denn nicht in verwöhnter Entspannung finden wir befreiende Ruhe, sondern tatsächlich in der herzlichen Liebe Gottes, die uns in seiner Güte umfängt und in seiner Demut ermutigt, ja befähigt, selber demütig, gütig und leidenschaftlich zu lieben.

Der Blick auf das Herz Jesu und dessen Verehrung hat daher seit je in besonderer Weise gestärkt und angespornt.

Das Land Tirol hat sich schon vor über 200 Jahren dem Herzen Jesu geweiht. In unruhiger Zeit großer Kriegsnot suchte man nach Halt und Ruhe. Im Mai 1796 hatte Napoleon die österreichischen Truppen bei Mailand geschlagen. Die Festung Mantua war gefallen und die französischen Truppen standen an der Grenze Tirols. Hier waren nach einer gut 90jährigen Friedenszeit die Festungen verfallen.

 

In dieser verzweifelten Situation schlug der Abt von Stams, Sebastian von Stöckl, vor, man möge sich ganz der Güte Gottes anvertrauen. Das Land solle geloben, das Herz-Jesu-Fest in Zukunft im ganzen Lande zu feiern. Und am 3. Juni 1796 zelebrierte Abt Stöckl in der Bozner Pfarrkirche feierlich das Herz-Jesu-Fest. Schon 1797 bestätigte Papst Pius VI. das Herz-Jesu-Fest für das ganze Land Tirol.

 

Immer wieder ist dieses Gelöbnis des Landes erneuert worden. Wir können zu Recht von einer Weihe des Landes an das Heiligste Herz Jesu sprechen. Im Lied „Auf zum Schwur Tiroler Land“ wird diese gläubige Verbundenheit mit festlicher Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht. Die Herz-Jesu-Feiern mit ihrem Brauchtum und geistlichem Reichtum gehören immer noch zum prägenden Schatz dieses Landes.

 

Diese Gelöbnistreue durch die wechselhafte Geschichte ist auf mancherlei Weise spirituell faszinierend: Das beginnt mit der Tatsache, dass die erhoffte Hilfe Gottes ja bald auszubleiben schien. Tirol fiel unter napoleonische bayrische Herrschaft. Wäre es da nicht nahe liegend gewesen, das Gelöbnis als hinfällig zu betrachten.

 

Aber eine Weihe ist kein Handelspakt, ein Gelöbnis an Gott basiert nicht auf den Prinzipien des Kommerzes. Dieses Tiroler Gelöbnis und die Treue zu ihm inspiriert sich tatsächlich am Herzen Jesu. Der liebende Geist, der aus dem offenen Herzen Jesu geschenkt wird, schließt kein Gegengeschäft mit unmittelbarer Erfolgsgarantie ab, sondern schenkt Zuversicht und Mut, dem leidenschaftlichen Einsatz Gottes für uns Menschen auch auf dem Kreuzweg nachzueifern.

 

Gott ist treu. Die Tiroler haben in ihrer Treue zum Herzen Jesu die ruhige Kraft geschöpft, im Vertrauen auf den liebenden Gott und in seinem Geist für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit zu kämpfen – ein Kampf, der immer wieder aufs neue gefordert ist; den Kampf, der nicht zuletzt ein Kampf mit uns selber ist; ein Kampf, der in verwöhnten Zeiten wohl gefährdeter ist, als in Zeiten der Not (auch die Wehranlagen des Glaubens drohen in „harmlosen“ Zeiten zu verfallen...)

 

Der selige Kaiser Karl hat das Land Tirol gerade auch wegen dessen inniger Verbundenheit mit dem Herzen Jesu geliebt. Er sprach von seinem „lieben, kleinen Herz-Jesu-Land“.

In einer Ansprache an Repräsentanten der Stadt Innsbruck ermutigte er zum Vertrauen in das Heiligste Herz Jesu und betonte, dieses sei „der Souverän, der Bundesherr“ des Tiroler Bundes.

 

Schon von Jugend an las Erzherzog Karl den von Innsbrucker Jesuiten herausgegebenen „Sendboten des Göttlichen Herzens Jesu“. Als eine Tirolerin den Kaiser im Schweizer Exil besuchte und ihm ein Treuversprechen ablegen wollte, lehnte der Kaiser dies ab, da sie einem Höheren geweiht sei. In Begleitung von Bischof Seydl und des Kaisers sprach diese Frau dann in der Hauskapelle die Tiroler Bündnisformel.

 

Die Verehrung des Herzens Jesu war ein prägendes Grundelement der Spiritualität des seligen Karl aus dem Hause Österreich. Die Herz-Jesu-Verehrung war – nicht zuletzt durch den Tiroler Impuls - zu einem Wesensbestandteil der pietas austriaca geworden.

Als Papst Leo XIII. den ganzen Erdkreis zur Weihe an das Heiligste Herz Jesu einlud, geschah dies für Österreichs Volk und Land am 11. Juni 1899 im Stephansdom – in Anwesenheit des Kaisers und des Hofes. Der damals noch nicht ganz zwölfjährige Erzherzog Karl hatte Keuchhusten und konnte an der Feier in St. Stephan nicht teilnehmen. Er ging aber zur selben Stunde in die Hauskapelle der Villa Wartholz und betete dort das Weihegebet mit.

 

Am 2. Oktober 1918, dem Tag der Erstkommunion des Kronprinzen Erzherzog Otto, betete der Kaiser Karl laut und innig die Weiheformel an das Herz Jesu. In diese Weihe wollte der Kaiser alle Völker der Monarchie eingeschlossen wissen. Wie die Kaiserin später bestätigte, bestand die Absicht, diese Weihe nach Beendigung des Krieges in feierlicher öffentlicher Weise zu erneuern und das Herz-Jesu-Fest als Feiertag allgemein einzuführen.

Wie uns die historischen Forschungen heute zeigen, bestand in diesen ersten Oktobertagen 1918 noch einmal eine Chance für einen gerechteren Frieden, der wohl längeren Bestand gehabt hätte als der tatsächlich erfolgte Unheilsfrieden. Unglück und wohl auch Intrige ließen diese letzte Chance auch scheitern.

 

In einer solchen Situation würden wohl die meisten das Vertrauen in die Hilfe des Gottes zumindest etwas zurücknehmen. Nicht so Kaiser Karl: Noch am Tag nach der Kapitulation lässt er das Te Deum zum Fest seines Namenspatrons feiern. Und zu Silvester 1918 besteht er wiederum – und zwar sogar gegen Einwände aus der engsten Familie – darauf, Gott im Te Deum zu danken.

 

Auf dem Leidensweg, der folgte, war das Vertrauen des seligen Kaiser Karl in das Herz Jesu unerschütterlich: Als er ins Exil gezwungen und in die Schweiz abgeschoben wird, betet er: „Heiligstes Herz Jesu, ich vertraue auf Dich!“ Auf dem Schreibtisch des Kaisers steht ein Herz-Jesu-Bild. Eine Herz-Jesu-Statue begeleitet den Kaiser auf allen Stationen seines Exils bis zur letzten Stunde.

 

Diese Herz-Jesu-Statue ist auch mit dem kaiserlichen Paar während des zweiten Restaurationsversuchs in Ungarn. Die so sichtbare Verbundenheit mit dem gütigen und demütigen Herzen Jesu veranschaulicht auch, dass die Restaurationsversuche keine Akte der Gier nach Herrschaft waren, sondern vom Kaiser als Dienst an seiner ihm von Gott übertragenen Aufgabe verstanden und gelebt wurden. Schließlich hatte ihn ja Papst Benedikt XV. gebeten, seine Herrscherpflicht auszuüben. (Der Heilige Vater hatte in wahrhaft prophetischer Sorge befürchtet, Ungarn könne in die Hände der Kommunisten fallen und Europa gespalten werden...)

 

Dem Papst schreibt der Kaiser denn auch: „Ich verliere nicht den Mut und habe insbesondere das Vertrauen in das Heiligste Herz Jesu“. Auch seine Lieben ermutigt er immer wieder in diesem Sinn.

 

In der Todeskrankheit hat der seliger Kaiser Karl ein Herz-Jesu-Bild unter seinem Kopfpolster und küsst es immer wieder. „Es ist doch gut, dass es ein Vertrauen auf das Heiligste Herz Jesu gibt. Sonst wäre das alles nicht zu ertragen.“ - sagt der Kaiser am Tag vor seinem Tod. Und zur Kaiserin meint er: „Im Herzen Jesu werden wir uns wieder sehen.“

Die Herz-Jesu-Verehrung entsprach wohl in besonderer Weise dem Wesen des seligen Kaiser Karl und hat seinen Charakter offenbar auch nachhaltig mitgeprägt:

Das empfindsame, hilfsbereite und fromme Kind wusste sich schon bald am liebenden Herzen Jesu geborgen und von ihm geleitet.

 

Das menschliche Herz Gottes hat ganz offensichtlich auch das charmante und menschenfreundliche Wesen Kaiser Karls inspiriert.

 

Gerade auch im pflichtbewussten Arbeitseifer des Kaisers, in seinem unbedingten Einsatz und Kampf für den Frieden, in seiner persönlichen Mildtätigkeit und sozialen Gesetzgebung, in seinem Widerstand gegen die menschenverachtenden und –

vernichtenden „modernen“ Anschauungen und Methoden des Sozialdarwinismus, zeigt sich, dass seine Verehrung des Herzens Jesu nicht bloß ein äußeres Ritual war, sondern vielmehr seine Haltung und sein Handeln bewegte und begeisterte.

Auch sein Familienleben war erfüllt von der leidenschaftlichen Liebe Gottes, die im Herzen Jesu so anschaulich wird. Die „unendliche Liebe“ zu seiner Frau ist voller Zärtlichkeit und gesegnet mit Fruchtbarkeit. Sie erreicht eine geradezu mystische Dimension, wenn der Kaiser vom „Wiedersehen im Herzen Jesu“ spricht.

 

Der Gute Hirt lädt uns ein, mit der Plage und Last unserer Tage zu ihm zu kommen, um bei ihm Ruhe zu finden. Aus seinem gütigen und demütigen Herzen strömt uns jene befreiende und erlösende Gnade, die uns tatsächlich ruhiges Vertrauen in der Unruhe der Welt und der Widrigkeiten schenkt.

 

Der selige Karl aus dem Hause Österreich ermutigt uns auf diesem Weg zum Herrn im Blick auf dessen offenes Herz. Sein Beispiel regt uns an, aus ganzem Herzen unseren Dienst zu tun, voller Mitgefühl und Feingefühl, mit Leidenschaft und Hingabe – mit einem im Feuer des Geistes brennenden Herzen.

 

So öffnen wir unser Herz dem Herzen Jesu. So können wir das liebevolle Ja Gottes zu uns immer deutlicher hören, uns davon erfüllen lassen und darin einstimmen.

 

Erzbischof Fernand Franck, Präsident der Kaiser-Karl-Gebetsliga für den Völkerfrieden