Lesungen vom 29. Sonntag i.Jk. (Lesejahr C)
Ex 17, 8-13
2Tim 3,14 – 4,2
Lk 18, 1-8
„Wird der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?“ Diese Frage Jesu richtet sich auch an uns. Wir stellen uns angesichts dieser Worte denn auch unwillkürlich die Frage, ob unser Glaube denn groß und stark genug sei. In frommer Selbstkritik sind wir natürlich zu einem raschen „Nein“ geneigt. In einer verteidigenden Gegenreaktion könnten wir allerdings einwenden, es werde uns nicht unbedingt leicht gemacht zu glauben.
Stimmt es denn, was wir als Wort des Herrn eben gehört haben: „Gott wird seinen Auserwählten unverzüglich Recht verschaffen“? Wie viele Gläubige rufen Tag und Nacht in ihrer Not zum Herrn ohne ihr Recht zu erlangen – schon gar nicht „unverzüglich“?
Das Unrecht in unserer Welt schreit buchstäblich zum Himmel. Und die Fälle sichtbarer Hilfe sind rar. Soll das heißen, dass nur wenige auserwählt sind?
Aber sehen wir nicht gerade an vielen Heiligen, wie sehr sie Unrecht erleiden und wie wenig ihnen und ihren edelsten und frömmsten Anliegen Recht verschafft wird.
Welchen Erfolg hatten denn die aufrichtigen und klugen Friedensbemühungen Kaiser Karls, die er aus seinem tiefen Glauben heraus und in Zusammenwirken mit Papst Benedikt XV. unternahm? An Intrige und Verschwörung sind sie gescheitert. Verleumdung begleitet sie bis in unsere Tage. Unverzüglich Recht...?
Und doch hat Kaiser Karl allzeit gebetet und nicht darin nachgelassen. Auch nicht angesichts des Scheiterns seiner Bemühungen, die er in der Suche nach dem Willen Gottes als richtig erkannt hatte. Man hat sich darüber lustig gemacht, dass der Kaiser auch nach der Niederlage im Weltkrieg das Te Deum nicht abgesagt hat. Aber das war keine Schwäche, sondern vielmehr Stärke im Glauben.
Heilige sind natürlich eine Provokation. Sie sollen uns auch herausrufen aus unserer alltäglichen Selbstverständlichkeit, Bequemlichkeit, Selbstgerechtigkeit und Wehleidigkeit. Sie sollen uns hineinrufen in ein gläubiges Vertrauen über die allgemein anerkannten durchschnittlichen Vorstellungen des angenehmen Lebens hinaus. Die Heiligen zeigen uns auf, dass es möglich ist alternativ zu leben, ja gegen den Strom zu schwimmen.
Daher sind Heilige notwendig auch unbequem. Und es findet sich immer etwas zu kritisieren an ihnen – wobei mit dieser Kritik die Zumutung, die ihr Gottvertrauen darstellt, abgewehrt werden soll. Der Einwand des nicht unverzüglich verschafften Rechts wird zur Empörung und dient der (scheinbaren) Entlastung der eigenen Verantwortlichkeit vor Gott und den Menschen.
Was ist an Kaiser Karl nicht alles kritisiert worden? Bis hin zur systematischen Verleumdung haben sich die Einwände auch gegen seine Seligsprechung gesteigert. Aber die Kritik deutet auf die innere Betroffenheit hin, die jeder auslöst, der unbeirrt den Willen Gottes zu erkennen und zu erfüllen sucht.
In wenigen Tagen feiert die Kirche die Seligsprechung eines weiteren Österreichers: Franz Jägerstätter, der sein Leben hingab, weil er im Glauben erkannte, dass der Nationalsozialismus unvereinbar ist mit der Botschaft Jesu Christi - und der aus dieser Überzeugung heraus den Wehrdienst unter dem verbrecherischen Nazi-Regime verweigert hat. Die Kirche hat dieses Zeugnis des Glaubens als Martyrium anerkannt.
Sogar an dieser Seligsprechung wurde verschiedentlich Kritik geübt. Franz Jägerstätter habe seine Familie im Stich gelassen meinen manche. Andere wenden ein, er habe nicht wirklichen Widerstand geleistet, sondern sich bloß abschlachten lassen. Und schließlich empören sich einige, die Seligsprechung sei eine Beleidigung derer, die „nur ihre Pflicht getan“ hätten. Die Feststellung, das Leben des neuen Seligen sei nicht immer fromm genug gewesen, darf natürlich auch nicht fehlen.
Ein solches Verhalten könne man nicht zum verpflichtenden Maßstab für andere machen, wird empört (oder betroffen?) festgestellt. Kein Heiliger hat sich je zum Maßstab für andere gemacht und auch die Kirche macht nicht allgemein verpflichtende Modelle aus ihnen. Es gibt einen einzigen Maßstab für alle Gläubigen – und das ist Christus.
Das mag einen ja noch mehr erschrecken. Aber gerade die vielfältigen Wege – und Umwege – der Heiligen wollen uns Ermutigung sein, uns unter den Maßstab Christi, in die erlösende Wirklichkeit seiner Menschwerdung, seines Kreuzes und seiner Auferstehung zu stellen. Dieses Maß dürfen wir nehmen und können uns durch Gottes Hilfe in den vielfältigen Gebrochenheiten unseres Lebens danach richten.
Wurde nicht sogar versucht Kaiser Karl und Franz Jägerstätter gegeneinander auszuspielen? Der Kontrast ist ja beträchtlich hier ein Kaiser, da ein Bauer und Bergarbeiter, hier ein Kriegsherr, da ein Wehrdienstverweigerer.
Wenn wir uns diese beiden Persönlichkeiten und ihre Spiritualität näher ansehen, entdecken wir viele Gemeinsamkeiten.
Kern und tiefste Quelle der Gemeinsamkeit ist die unbedingte Suche nach dem Willen Gottes, das Ringen darum in unermüdlichem Gebet – und die Entschlossenheit, Gottes Willen zu erfüllen – auf das Genaueste, bis ins Äußerste.
In ihrem Glauben wurden beide Selige immun gegen die modernen und gängigen Irrtümer ihrer Zeit und widersetzten sich ihnen auf das Entschiedenste: Kaiser Karl dem menschenverachtenden und – vernichtenden Materialismus und Sozialdarwinismus (beides Wurzeln für den späteren nationalsozialistischen Wahnsinn) und Franz Jägerstätter dem nationalsozialistischen Terrorregime und seinen Ansprüchen. Kaiser Karl wurde von den Nazis ja auch posthum noch verfolgt und verleumdet – eigene Propagandaschriften wurden ihm gewidmet (deren Thesen sich zum Teil in den Kritiken an der Seligsprechung wieder fanden...). Das NS-Regime plante sogar einen Prozess gegen Kaiser Karl, für den schon Akten nach Berlin geschafft wurden (der Prozess fiel dem Ausbruch des II. Weltkrieges zum Opfer). Der geistige Widerstand aus dem Glauben heraus wurde von den Machthabern des Nationalsozialismus (zu Recht!) als Bedrohung empfunden.
Aus den Ausführungen Franz Jägerstätters ist klar zu entnehmen, dass er den Wehrdienst nicht prinzipiell verweigert hat, aber der NS-Herrschaft absolut nicht dienen wollte. Daraus kann eindeutig geschlossen werden, dass er einem Kaiser Karl den Dienst mit der Waffe nicht verweigert hätte.
Beide Selige haben nahe liegende und ihnen nahe gelegte einfache Auswege abgelehnt, weil sie sich verpflichtet sahen, für den erkannten Willen Gottes unerschrocken Zeugnis abzulegen. Franz Jägerstätter hätte sein Leben retten können, wenn er den Wehrdienst angetreten hätte. Kaiser Karl hätte vermutlich sogar seinen Thron, jedenfalls aber sein Vermögen und sein Leben retten können, wenn er sich einem gottfernen Machtkalkül unterworfen hätte. Das aufrechte Bekenntnis zu Gottes Willen war ihnen wichtiger.
Kaiser Karl und Franz Jägerstätter waren liebenswürdige, lebensfrohe und großzügige Persönlichkeiten. Ihre Hilfsbereitschaft und ihr Feingefühl für andere zeichnete sie aus.
Beide Selige verbindet auch die Tatsache, dass sie liebevolle Ehegatten und Familienväter waren. Beide haben ihre Entscheidungen mit ihren Ehefrauen geteilt. Beide trifft der Vorwurf, sie hätten ihre Familien zurückgelassen und so ihrer christlichen Verantwortung nicht entsprochen. (Der Vorwurf wird zwar gegen Kaiser Karl allgemein weniger erhoben, weil er meist als bloßes Opfer seiner Krankheit gesehen wird. Tatsächlich hat der Kaiser aber in seiner Krankheit sein Leben sehr wohl Gott als Opfer angeboten bzw. erkannt, dass Gott dieses Opfer von ihm will und dem zugestimmt „damit meine Völker wieder zusammenfinden“). Beide Selige flüchten natürlich auch in dieser Frage nicht vor ihrer Verantwortung – ganz im Gegenteil: sie tragen die umfassendere Verantwortung im Willen Gottes. Beide vertrauen sie ihre Familien in der schweren Entscheidung Gott an und vertrauen so wirklich auf ihn.
Schließlich ist der Tod selbst immer ein Zeugnis des Glaubens: Sowohl Franz Jägerstätter als auch Kaiser Karl sahen ihm gefasst entgegen, bemühten sich, den Ihren Trost zu spenden und gingen über diese Schwelle mit dem festen Blick auf Christus.
Was ist denn das „Recht der Auserwählten“, das Gott ihnen „unverzüglich verschafft“. Es ist das Recht der Hausgenossenschaft. Wir sind Hausgenossen Gottes. Wir dürfen bei ihm sein, wir dürfen wie er leben. Wir dürfen seinen Weg gehen.
Nicht Kriterien des irdischen Erfolgs konstituieren dieses Recht. Die Wirklichkeit der Liebe entfaltet sich in ihm - eine erlösende Liebe, die die Menschen und ihre gesamte Wirklichkeit annimmt. So wird das Kreuz zum Zeichen der Erlösung und nicht des Skandals.
Es braucht Mut, diese Gemeinschaft mit Gott zu wagen. Es bedarf des unablässigen Gebets, damit wir diesen Mut finden und ihn einander bestärken. Die Heiligen und Seligen sind uns durch ihr Beispiel und ihre Fürsprache darin Ermutigung und Hilfe. Werden wir nicht müde immer wieder mit den Worten des Ligagebets Gott anzurufen „uns auf die Fürsprache des seligen Kaiser Karl auch in schwierigen Situationen bedingungsloses Vertrauen „ zu haben. Amen.
Erzbischof Fernand Franck, Präsident der Kaiser-Karl-Gebetsliga für den Völkerfrieden
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